34. Deutsche Angustage 2019 in Baden-Württemberg
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- Veröffentlicht: Montag, 01. Juli 2019 10:47
- Geschrieben von Sabine Schmidt
Im äußersten Südwesten Deutschlands – in Baden-Württemberg – versammelte sich vom 21. bis 23. Juni die große Angus-Züchterfamilie zu den 34. Deutschen Angustagen. Seit vielen Jahren sind diese Treffen eine gute Tradition, nicht nur, um die jährliche Mitgliederversammlung abzuhalten, sondern auch, um die Anguszucht im jeweiligen Bundesland kennenzulernen, Züchterkollegen wiederzusehen und mit ihnen in den Erfahrungsaustausch zu treten.
Startpunkt war am Freitagmittag der Bierhelderhof der Familie Schumacher. Unmittelbar am Stadtrand von Heidelberg und dennoch in traumhafter Natur in den Ausläufern des Odenwalds gelegen, bewirtschaftet die Familie Schumacher seit 1962 den 82 ha großen Hof als Pachtbetrieb. Der Senior Friedrich Schumacher, der über Jahre auch in diversen Ehrenämtern (u.a. auch im BDAH) tätig war, zählt zu den Pionieren der deutschen Anguszucht, und viele Teilnehmer freuten sich über ein Wiedersehen. Nach einem leckeren Mittagessen, zu dem Familie Schumacher die Teilnehmer des Züchtertreffens eingeladen hatte und bei dem sich jeder die hervorragende Qualität des vor Ort erzeugten Angusfleischs auf der Zunge zergehen lassen konnte, stellte Betriebsleiter Peter Schumacher die Zuchtstätte vor.
Beim Gang über die Weiden konnten die Tiere im Anschluss in Augenschein genommen und begutachtet werden. Rund 80 Anguskühe werden auf dem Betrieb gehalten. Abgesehen von 20% Remontierung und einem nicht unwesentlichen Zuchtviehverkauf (5-10 Bullen und 10-15 Rinder/Jahr) verbleiben auch alle anderen Tiere zur Ausmast auf dem Hof und werden nach der Schlachtung über die Gaststätte und den Hofladen (hier größtenteils als gemischte Fleischpakete) direkt vermarktet. In der Zucht wird auf mittelrahmige, fleischbetonte, leichtkalbende Genetik, schwerpunktmäßig aus USA, Australien und Neuseeland, gesetzt. Weidehaltung ist von April bis Dezember möglich, im Winter stehen den Tieren Ställe zur Verfügung. Die Kühe kalben von November bis Januar sowie von April bis Juli. Beim Absetzen mit 8-9 Monaten werden durchschnittliche Tageszunahmen von ca. 1.150g bei den männlichen und ca. 1.000g bei den weiblichen Kälbern realisiert. Geschlachtet wird im Alter von 10-15 Monaten, zum Teil auch älter, und mit einem Schlachtgewicht von 280 bis 350 kg (männlich) bzw. 230-270 kg (weiblich).
Vom Bierhelderhof aus ging es anschließend südwärts nach Bad Liebenzell zu Uwe Gorjup auf den Hardthof, ein Bio-Zuchtbetrieb, den viele Teilnehmer bislang wahrscheinlich nicht kannten, dessen sehr typvolle Angusrinder und Betriebskonzept aber auf ganzer Linie beeindruckten. Der Hof, der in einer Höhenlage von 600 – 750 m wirtschaftet, betreibt seit 1992 Mutterkuhhaltung mit Angus und seit 2008 Herdbuchzucht. Zuchtziel sind mittelrahmige Kühe mit ausreichend Milch, deren Kälber ohne Zufütterung 1.100-1.200g Tageszunahmen (männlich) und 900-1000g (weiblich) erreichen. Auf 74 ha Gesamtfläche (66 ha Grünland) werden 45 Kühe sowie 50-80 Stück Jungvieh gehalten. Weidesaison ist von Mai bis Oktober, die Winterstallhaltung erfolgt in einem Außenklimastall mit Laufhof, Kühe und Färsen im Liegeboxenstall, Bullen und Kälber auf Tiefstreu. Neben dem Zuchtviehverkauf (Bullen, Färsen, auch Export) werden Bullen und Rinder über einen Metzger geschlachtet und über den Hofladen der Familie Gorjup vermarktet. In die Zerlegung und den Zuschnitt bringt sich Uwe Gorjup selbst mit ein, eine eigene Schlachtstätte wäre noch mal ein Zukunftsprojekt, das in den nächsten Jahren angegangen werden soll. Anders als viele Berufskollegen setzt Uwe Gorjup nicht auf Fleischpakete, die Kunden können bei ihm die entsprechenden Teilstücke bestellen, dabei werden Preise von 12-55 €/kg erzielt. Über den Hofladen wird nicht nur Rindfleisch verkauft, sondern auch Schweinefleisch, verschiedene Wurstsorten, Suppenhühner, Eier, Obstsäfte … Insgesamt ein spannendes, sehr stimmiges Konzept, zu dem wir Familie Gorjup weiterhin viel Erfolg wünschen.
Nach ausgiebigen Fachgesprächen ging es schließlich weiter nach Sankt Johann - Lonsingen, wo wir unser Tagungshotel bzw. weitere umliegende Hotels bezogen. Beim gemeinsamen Abendessen im Albhotel Bauder war ausreichend Gelegenheit zur Fortsetzung des Erfahrungsaustauschs.
Der Samstagvormittag war für die Mitgliederversammlung des BDAH reserviert. Diese wurde durch den stellvertretenden Vorsitzenden Manfred Winhart geleitet, da der Vorsitzende Dietz Kagelmann aufgrund einer ernsten Erkrankung nicht an den Angustagen teilnehmen konnte. Von den Anwesenden ergingen herzliche Genesungswünsche an den abwesenden Vorsitzenden. Neben einem Rückblick auf das Zucht- und Verbandsjahr, dem Geschäftsbericht und den Planungen für die kommenden Wochen und Monate standen in diesem Jahr Ehrungen im Mittelpunkt. Der BDAH ehrte auf der Mitgliederversammlung den ehemaligen Vorsitzenden Johannes Hibbeln sowie das ehemalige Beiratsmitglied Werner Rücklinger für ihre Leistungen und Verdienste um die deutsche Anguszucht und -haltung und zum Wohle des BDAH mit der Dr.-Karl-Heinz-Drögemeier-Verdienstmedaille. Mit bewegenden Worten würdigten Manfred Winhart in der Laudatio für Johannes Hibbeln und Ingrid Sippel in der Laudatio für Werner Rücklinger das besondere Engagement beider Persönlichkeiten und sprachen Dank und Anerkennung aus.
Zum Abschluss der Mitgliederversammlung standen noch zwei sehr interessante Berichte auf dem Programm. Richard Brinette, stellvertretendes Beiratsmitglied des BDAH, hatte im März 2019 am Treffen des World Angus Secretariat in Uruguay teilgenommen und informierte die Teilnehmer der Mitgliederversammlung, unterlegt mit zahlreichen Fotos, über das Treffen und die dortige Anguszucht und -haltung. Eine andere Welt, mit anderen Rahmenbedingungen, in der Angus aber eine enorme Rolle spielt und einen hohen Stellenwert genießt. Am Rande der Tagung war es Richard Brinette möglich, einige Gespräche mit internationalen Teilnehmern des Treffens zu führen. Hierbei wurde ein großes Interesse an der Anguszucht in Deutschland geäußert. Das freut uns zu hören und ist hoffentlich Anknüpfungspunkt für eine künftig noch engere internationale Zusammenarbeit.
Dr. Thomas Schmidt von der Rinderunion Baden-Württemberg, der auch federführend und sehr engagiert die diesjährigen Angustage mit vorbereitet hat (Herzlichen Dank!), präsentierte in einem abschließenden kleinen Bericht die Fleischrinderzucht in Baden-Württemberg, natürlich mit besonderem Fokus auf die Rasse Angus, und machte dabei die durchaus speziellen Bedingungen, unter denen die Anguszüchter in der Region wirtschaften, deutlich (Historie, Struktur, Rahmenbedingungen, Vermarktung). Hoch interessant fanden die meisten Teilnehmer, dass es in Baden-Württemberg noch rund 900 zugelassene Schlachtstätten gibt, ein Umstand, der für die Direktvermarkter sehr vorteilhaft ist und von dem Züchter in anderen Bundesländern zum Teil nur träumen können.
Nach der Mitgliederversammlung ging es zu Fuß (und zum Teil per Kremser) weiter zum Hof und zur Landmetzgerei der Familie Rapp. Seit 1994 werden hier Angus gehalten, aktuell etwa 55 Mutterkühe mit Nachzuchtkälbern, Rindern und Bullen. Mit der Landmetzgerei hat sich Familie Rapp eine beeindruckende Vermarktungsschiene aufgebaut, zu der heute das Hauptgeschäft in Lonsingen und Filialen an 3 Standorten gehören und über die es möglich ist, alle männlichen und weiblichen Jungrinder aus dem eigenen Betrieb zu vermarkten. Eigene Produktentwicklungen, Rezepte und Kreationen haben zu unverwechselbaren Rapp’schen Spezialitäten geführt, unter denen Alb-Angusprodukte aus eigener Aufzucht und Herstellung einen hohen Stellenwert einnehmen. Bei der Besichtigung wurde deutlich, mit welchem Engagement die ganze Familie das Unternehmen (mit mittlerweile 50 Mitarbeitern) entwickelt, wie nach und nach aus einer kleinen Landmetzgerei durch Investition, Umbau, Ausbau, Neubau das heute so erfolgreiche Unternehmen Rapp entstanden ist, in dem neben Herbert und Eva Rapp inzwischen auch die nächste Generation fest integriert ist. Beim anschließenden Mittagessen in der Metzgerei gab es hauseigene Spezialitäten, unter anderem hausgemachte Maultaschen, zu verkosten.
Busse brachten uns am Samstagnachmittag alle gemeinsam ins Killertal zum Vornagelhof von Dr. Benjamin Junck. Auf dem Hof mit 300 ha Gesamtfläche, davon 260 ha Wiesen, Weiden und Mähweiden inklusive Naturschutzbeweidung, wird seit 1978 Mutterkuhhaltung und Zucht mit Angusrindern betrieben. 2008 kam als zusätzliches Standbein eine Wagyuzucht hinzu. Der erste Zukauf im Ausland fand 1989 statt, seitdem wird regelmäßig internationale Genetik angekauft und eingesetzt. Seit dem Jahr 2000 werden auch Besamung und Embryotransfer genutzt und damit erweiterte Möglichkeiten, auf internationale, geprüfte Spitzengenetik auch aus Übersee zuzugreifen. Hans-Peter und Edeltraud Junck haben der Zucht auf dem Vornagelhof über lange Jahre ihren Stempel aufgedrückt und sich damit national und international Anerkennung erworben. Seit 2002 leitet und entwickelt Sohn Benjamin den Betrieb allein. Inzwischen stehen 80 Anguskühe plus Nachzucht auf dem Betrieb, hinzu kommen 20 Wagyu-Kühe, ET-Trägerkühe, Zuchtbullen, Masttiere, in der Summe über 400 Rinder. Der Betrieb wird als Familienbetrieb im Vollerwerb geführt, zwei Mitarbeiter sowie Aushilfen für Spitzenzeiten kommen hinzu. Für die Winterstallhaltung wird eine Pultdachhalle mit Tiefstreu genutzt. Im Zentrum der Zuchtphilosophie stehen die problemlose und effiziente Kuh mit hoher Milch- und Aufzuchtleistung, Fruchtbarkeit, Langlebigkeit, weiterhin Schlachtkörperqualität und hohe Zuwachsleistungen unter Beibehaltung eines leichten bis moderaten Geburtsgewichts. Die Vermarktung ist sehr stark zuchtorientiert, Bullen und Färsen, Samen und Embryonen sind im Angebot und werden national und international zur Zucht verkauft. Von September bis Mai wird auch Fleisch von Jungbullen und Färsen vermarktet, zum Teil als Mischpakete in der Direktvermarktung, zum Teil an die gehobene Gastronomie oder über das Konzept www.kaufnekuh.de.
Auch wenn bei unserem Besuch auf dem Vornagelhof ein überaus heftiger Regenguss das Besuchsprogramm im Freien etwas einschränkte (wen wundert’s bei 1240 mm jährlichen Niederschlägen …), wird allen Teilnehmern neben den Eindrücken aus dem Betrieb auch hier die herzliche Gastfreundschaft mit leckerem Kaffee und Kuchen in guter Erinnerung bleiben!
Zum Abend hin ging es für die Teilnehmer der Angustage ins „Himmelreich“, und zwar zum Hof Himmelreich von Ute & Joachim Straub in Wald – Steckeln. Auch dies ein Betrieb mit jahrzehntelangen Traditionen, seit über 35 Jahren werden hier Angus gezüchtet. Der ökologisch wirtschaftende Familienbetrieb im Nebenerwerb hält auf 125 ha Gesamtfläche (davon 45 ha Wiese und 80 ha Mähweide inkl. Naturschutzbeweidung) etwa 65 Angus-Mutterkühe plus Nachzucht, von denen uns ein Teil bei unserer Ankunft gleich sehr neugierig begrüßte. Die sehr homogene, typvolle Herde ließ die langjährige konsequente Zuchtarbeit erkennen. Vermarktet wird ähnlich wie in den vorherigen Betrieben über Zucht (Bullen und Färsen) sowie Schlachtbullen für die gehobene Gastronomie und die Direktvermarktung.
Nachdem auch die Stallungen für die Winterhaltung besichtigt worden sind, ging man zum gemütlichen Teil des Abends über. Schottische Dudelsackmusik der Pipeband „Heuberg Dragons“ zog unwiderstehlich zum Festzelt, so dass sich nach und nach dort alle zum Züchterabend einfanden. In gemütlicher Atmosphäre, bei sehr gutem und reichlichem Essen (mit Fleisch vom Angusrind) und Trinken, toller Musik (die Heuberg Dragons gaben noch einige Kostproben ihres Könnens ab) verlebten die Teilnehmer der Angustage einen wundervollen Abend, der noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Auch für den Sonntag war noch einmal ein umfangreiches Programm in Vorbereitung. Das erste Ziel am Vormittag war das bekannte Landgestüt Marbach, auf dem wir in drei Gruppen an einer Führung teilnahmen und sehr viel Interessantes über die Historie und Gegenwart des Landgestüts und seiner Pferdezucht erfuhren. Im Anschluss hieß es noch einmal einige Kilometer zu fahren, um nach Vellberg-Eschenau ins Bühlertal zu kommen. Hier hat sich Familie Lindner in den letzten 30 Jahren einen (nicht mehr ganz) kleinen und sehr feinen Nebenerwerbsbetrieb aufgebaut. Auf 86 ha Gesamtfläche (davon 61 ha Grünland) werden rund 40 Angus-Mutterkühe in den Farben schwarz und rot gehalten. Eine Auswahl der Tiere wurde uns nach dem – wieder einmal sehr reichhaltigen und schmackhaften – Mittagessen vom Junior Florian Lindner fachkundig vorgestellt, die Präsentation zeigte sehr schön Zuchtphilosophie, erreichten Stand und Richtung der Lindnerschen Zucht. Und angesichts des Engagements der jungen Generation im Betrieb braucht einem auch um die Zukunft dieser Zucht nicht bange zu sein. Investitionen in die Direktvermarktung, der Aufbau einer Vesperstube mit Partyservice und das aktuelle Stallprojekt zeigten, dass das Konzept des Betriebes auf Langfristigkeit ausgelegt ist.
Mit dem Besuch im Bühlertal ging auch das offizielle Programm der 34. Deutschen Angustage zu Ende. Wer wollte und noch etwas Zeit fand, hatte zusätzlich Gelegenheit, zwei weitere Angusherden kennenzulernen, und zwar
- in der Schmidt Agrar GbR, Anguszucht mit Mostbesen, in Frankenhardt sowie
- die Anguszucht der Familie Hertfelder in Kreßberg-Schönbronn.
Von beiden Angeboten wurde noch recht rege Gebrauch gemacht, ehe sich auch die letzten Teilnehmer auf den zum Teil langen Weg in die Heimat machten. Es waren einmal mehr sehr schöne, informative und erlebnisreiche Angustage, an die alle mit Sicherheit noch lange gern zurückdenken werden.
Wir danken den Gastgebern und Organisatoren für die ausgezeichnete Vorbereitung, Organisation und Gastfreundschaft und freuen uns auf das nächste Treffen – das nunmehr 35., das in einem Jahr vom 19. bis 21. Juni 2020 in Nordrhein-Westfalen stattfinden wird.
(Dr. Sabine Schmidt; Fotos: Bernd Kleenlof, Sabine Schmidt)