Züchterreise zu Angusbetrieben in Nordpolen

Am Montag, dem 07. September 2015, begann unsere diesjährige Studienreise nach Polen. 30 Mitreisende konnten ihre Fahrzeuge auf dem Gelände des RBB in Groß Kreuz abstellen. Pünktlich um 9.00 Uhr startete der Bus unseres polnischen Reiseunternehmens „Anna-Tours“ in Richtung Szczecin/Stettin zum Betrieb Agrofirma Witkowo. Der Betrieb erstreckt sich über mehrere Ortschaften und ist eine der größten und ältesten Genossenschaften in Polen. Gegründet mit 400 ha Ackerland und 200 ha Grünland wird heute im Jahr des 65-jährigen Bestehens eine Fläche von 13.284 ha bewirtschaftet.

Seit 1950 leitet der heute 85-jährige Marian Ilnicki das Unternehmen mit inzwischen 1250 Genossenschaftlern, die alle einen Beschäftigungsanspruch haben. Es wird eine Vielzahl von landwirtschaftlichen Endprodukten erzeugt, die zu einem großen Teil in den betriebseigenen Läden und Lokalen in den umliegenden Ortschaften und Städten vermarktet werden. Der Betrieb hält 5.000 Milchkühe und 2.500 Mutterkühe in sechs verschiedenen Rassen. Nachdem unser Busfahrer sein Bestes gegeben hatte, mussten wir noch ca. 3-4 km laufen, um die Red-Angusherde zu besichtigen. Marek, der Herdenmanager, sprach leider kein Deutsch, sodass unsere Reiseleiterin Anna ihre erste Bewährungsprobe bestehen musste, um unsere vielen Fachfragen und die entsprechenden Antworten zu übersetzen, was ihr jedoch hervorragend gelang. Die interessanteste Information war, dass die 400-köpfige Angusherde auf 600 Kühe aufgestockt werden soll, da eine entsprechende Nachfrage am Markt besteht. Ein Film zeigte uns beim Kaffeetrinken die unglaublich vielseitigen Produktionsfelder dieses Betriebes. Mit müden Füßen traten wir die Fahrt in das Hotel nach Stettin an, wo wir mitten in der Altstadt sehr gut untergebracht waren.

Der nächste Tag führte uns auf die Halbinsel Wolin, die das Stettiner Haff zur pommerschen Bucht abgrenzt. Der Betrieb von Herrn Szychulski beweidet hier mit 70 schwarzen Anguskühen Grünland, das in den Schilfgürtel des Haffs übergeht. Es wurde deutlich, dass die aus deutschen Zuchtlinien stammenden Tiere auch auf einem so schwachen Standort zurechtkommen. Natürlich dürfen dabei keine Höchstleistungen erwartet werden. Züchterisch besteht dort sehr viel Interesse an deutscher Genetik, einer der eingesetzten Zuchtbullen war beim Fleischrindertag in Karow gekauft worden.
Weiter ging es durch die herrliche, sehr waldreiche pommersche Landschaft nach Trzyglow/Trieglaff zum Betrieb von Gerhard Bertram, der dort das ehemalige Gut der Familie von Thadden bewirtschaftet und musterhaft restauriert. Der frühere Pächter der Domäne Bahrdorf im Kreis Helmstedt empfing uns nach Gutsherrenmanier in einem für Besuche hergerichteten Wirtschaftsgebäude und gab uns beim Mittagessen einen umfangreichen Einblick in seine Erfahrungen als ehemals Deutscher, heute mit polnischem Pass, bei der Übernahme und Entwicklung seines polnischen Betriebes von rund 1.300 ha.
Weitere Informationen gab es bei der Feldrundfahrt auf bestens gepflegten Wegen und wir besichtigten die Fleckvieh- und Limousingebrauchsherden, deren Mastprodukte überwiegend in Deutschland vermarktet werden.
Beim abschließenden Kaffeetrinken im Schloss und dem Gruppenfoto auf der Seeterrasse bekamen wir eine Ahnung davon, wie hier in früheren Zeiten das Leben stattfand, das Rudolf von Thadden in seiner Generationengeschichte „Trieglaff – eine pommersche Lebenswelt zwischen Kirche und Politik 1807 – 1948“ beschreibt.
Den Abend ließen wir mit einem Stadtrundgang in Stettin ausklingen, wo uns Anna einige Sehenswürdigkeiten ihrer Heimatstadt präsentierte.
Am Mittwoch ging es weiter nach Dadzewo zum Betrieb von Friedrich Schumacher, der leider nicht vor Ort, sondern mit seinen Sangesbrüdern ebenfalls auf Polentour war. In Vertretung stellten uns sehr kompetent die Gutssekretärin Eva und weitere Mitarbeiter den Betrieb vor. Wir besichtigten die Herde schwarzer Anguskühe mit hervorragend entwickelten Kälbern bei Fuß. Den Grundstein der Anguszucht bildeten Tiere, die aus dem Heidelberger Betrieb der Familie Schumacher und weiteren deutschen Herkünften stammten. Die Kollegen, die wie Ulrich Edel diesen Betrieb von Anfang an kennen, konnten einen deutlichen Zuchtfortschritt bescheinigen.
Unsere Fahrt führte uns weiter über Kaschubien nach Gdansk/Danzig, der einst reichsten Stadt an der Ostsee. Der Donnerstag war Stadtbesichtigungen von Danzig und Sopot/Zoppot vorbehalten. Wir besichtigten die Danziger „Rechtstadt“ mit der Marienkirche, der größten mittelalterlichen Backsteinkirche der Welt. Natürlich sahen wir auch das Krantor, den Neptunbrunnen, das Rathaus und die Langgasse mit ihren beeindruckenden Patrizierhäusern. Die Altstadt wurde inzwischen mit ihren wertvollsten Bauwerken historisch getreu und mit großem Aufwand wieder aufgebaut.
Nordwestlich von Danzig liegt das Ostseebad Sopot mit dem längsten Seesteg Europas (511,5 Meter), über den wir bei bestem Wetter schlenderten, wie es jährlich über zwei Millionen Touristen und Kurgäste tun. Beeindruckend war auch ein Konzert der berühmten Orgel in dem kleinen Örtchen Oliwa.

Der Freitag führte uns nach Podagi auf den Betreib der Familie Hipp. Hier wird ökologisch gewirtschaftet, es werden derzeit über 700 Angusrinder gehalten. Die Erzeugnisse des Betriebes werden zum großen Teil nach Deutschland exportiert und zur Herstellung von Kindernahrung verwendet. Sehr kompetent wusste uns Walenthin Lauinger, ein Deutsch-Holländer mit afrikanischen Wurzeln, die Herden und die betrieblichen Einzelheiten vorzustellen. Er ist sowohl Herdenmanager als auch rechte Hand des Chefs, da er fließend fünf Sprachen spricht und internationale Verbindungen pflegt.
Eine Vielzahl der Anguskühe stammt vom Gut Karow und auch die eingesetzten Bullen waren überwiegend deutscher Herkunft. Wie schon in den zuvor besichtigten Betrieben besteht sehr viel Interesse an deutschen Zuchttieren. Was uns vielfach als Problem dargestellt wurde, ist die nicht einleuchtende Verfahrensweise bei der Eintragung in das polnische Herdbuch. Was bei einem Betreib problemlos ging, ist an anderer Stelle nicht möglich. Am unproblematischsten wird es wohl bei polnisch geführten Betrieben gehandhabt.
Von Podagi, ca. 50 km vor der russischen Grenze in Ostpreußen, fuhren wir wieder zurück in Richtung Südwesten und erreichten zur Mittagszeit die Marienburg. Diese gigantische Burganlage (Weltkulturerbe seit 1997) kann flächenmäßig durchaus mit dem Moskauer Kreml oder dem Hradschin in Prag verglichen werden. Die einstige Wehranlage des Deutschritterordens wird nach drohendem Verfall seit fast 200 Jahren in mehreren Etappen wiederhergestellt. Ein einmaliges Bauwerk, eine Mischung aus weltlicher Residenz und Kloster, in dem heute u. a. ein Museum zur Geschichte des Deutschritterordens untergebracht ist.

Am Abend erreichte die Gruppe Posen zur letzten Übernachtung. In der Nähe besichtigten wir am nächsten Tag das Versuchsgut der naturwissenschaftlichen Universität Posen. Ca. 900 ha werden dort bewirtschaftet und neben der Milchkuhherde hat man durch den Einsatz von Angusbullen angefangen auch Fleischrinderzucht zu betreiben. Die so entstehenden Kreuzungsrinder werden mit anderen Fleischrinderrassen wie Limousin angepaart.
Abschließend besuchten wir noch den Betrieb von Dariusz Witchen in Pszczew. Hier sahen wir beispielhaft einen polnischen Betrieb im Aufbau. Mit Finanzierungshilfe der EU waren das Wohnhaus, zum Teil die Wirtschafsgebäude und die technische Ausstattung erneuert. Neuester Produktionszweig des Betriebes ist eine rote Angusherde, die der Betriebsleiter wohl überlegt angeschafft hat, weil er für die Anguszucht in Polen gute Zukunftschancen sieht.
Abschließend ging es zurück nach Groß Kreutz, wo wir gegen 18:00 Uhr wieder ankamen.
Alle Mitreisenden bedanken sich nochmals herzlich bei der Reiseleiterin Anna, die uns mit ihrem beherzten „Hallo, Hallo“ immer zusammenzuhalten wusste und immer ein offenes Ohr für all unsere Wünsche hatte, bei dem Busfahrer, der uns trotz mancher Herausforderungen immer sicher ans Ziel brachte und natürlich bei den Gastbetrieben, die uns alle freundlich aufgenommen haben.
Mein persönlicher Dank gilt allen Mitreisenden. Neben den Fachgesprächen und vielen positiven Eindrücken hatten wir auch sehr viel Spaß. Polen ist eine Reise wert. Immer wieder gern!

Dietz Kagelmann