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1707 - 1900 Ein kurzer Überblick

Die Nachfrage der Marine war jedoch nur einer der Faktoren, der zum Aufstieg der Aberdeen-Angus Rasse führte. Ein viel wichtigerer für das wachsende Interesse an der Rinderzucht war der Übergang von einer auf den Eigenbedarf ausgerichteten Landwirtschaft zu einer auf kapitalistischer Basis betriebenen Agrikultur mit expandierenden Märkten im Süden. Politisch legte der Unionsvertrag zwischen England und Schottland 1707 den Grundstein für diese Entwicklung. Neben der allgemeinen Modernisierung der Landwirtschaft und deren zunehmende Differenzierung gilt der Rübenanbau und die damit einhergehende radikale verbesserte Fütterung als eines der wichtigsten Aspekte der Agrarrevolution für die Rinderzucht. Obwohl anzunehmen ist, dass bereits früher Bestrebungen gab, die besten männlichen mit den besten weiblichen Exemplaren einer Herde zu paaren, z.B. um stärkere Pflugochsen zu erhalten, konzentrierte sich die Zucht gegen Ende des 18ten Jahrhunderts zunehmend auf die Milch- und Fleischproduktion. Überschüssige Rinder wurden jetzt vermehrt nach England exportiert, wo sie nicht nur in der Marine (hier führte die Rinderseuche 1762 in England erneut zu einer starken Nachfrage), sondern auch in einer wachsenden Klasse wohlhabender Engländer Abnehmer fanden.

Ein weiterer Faktor für den Aufstieg der Aberdeen-Angus Rasse war die Französische Revolution. Sie ließ die Weizenpreise steigen, so dass der Süden Englands auf die Weizenproduktion umstellte und die Viehzucht sich auf die nördlichen Grafschaften konzentrierte. Im Einklang mit allgemeiner Modernisierung wurde hier die Fütterung und Haltung nochmals wesentlich verbessert, was natürlich sowohl die Qualität als auch die Erträge steigerte. Außerdem erwiesen sich die Aberdeen-Angus Rinder als hervorragend für die Rindfleischproduktion geeignet und wurden zunehmend von den Feinschmeckern in England bevorzugt.
Zu Beginn des 19ten Jahrhunderts führten diese Entwicklungen dazu, dass die Fortschritte in der Zucht auch zunehmend dokumentiert wurden und wir verfügen für diese Zeit bereits über Namen von Züchtern, Herden und besonders ausgezeichneten Tieren. Jetzt auch die ersten nationalen landwirtschaftlichen Institutionen gegründet, wie die Highland and Agricultural Society of Scotland (1783) und das Board of Agriculture (1793). Diese Organisationen waren vor allem für das wachsende Ansehen von Ausstellungen wichtig. Diese ‚Shows‘ und ‚Fairs‘ gingen aus den Kirchfesten in Verbindung mit traditionellen Märkten hervor, auf denen auch Rinder mit herausragenden Qualitäten ausgezeichnet wurden. In Aberdeenshire z.B. ist bekannt, dass auf der Garioch Show im Jahr 1811 ein gewisser Robert Walker seinen ‘Black Humble‘ zur Schau stellte. Auch in Angusshire wurden uns durch Dokumente zur Tarnty Fair (einem der wichtigsten Viehmärkte) die Namen einiger Ahnen der Angus-Rasse überliefert, darunter Keillor Jocks, Favourites, Buchan Black Megs und Panmure.

Erste dokumentierte Züchtungen

Viele der Tiere, die später als Gründer der Aberdeen-Angus Rasse Berühmtheit erlangten, stammen aus der Herde von Hugh Watson von Keillor in Angus. Bereits sein Vater und Großvater züchteten Angus Doddies, hauptsächlich für die Milchproduktion, und als er 1808 die Pacht für den Keillor Hof übernahm, gehörten 6 Färsen und ein Bulle (Bannantyne Sandy) dieser Herde zum ursprünglichen Bestand. Er kaufte auf dem Viehmarkt in Tarinty Muir jedoch sofort 10 weitere Färsen und einen Bullen dazu. Diese könnten aus Aberdeenshire gestammt haben, womit dies tatsächlich die erste Aberdeen-Angus Herde wäre.Die Bullen dieser Herde wurden in vielen Städten Schottlands zur Schau gestellt und bewundert, aber das berühmteste Exemplar ist eine Färse, die als "Old Granny" und Ur-Dame im ersten Herdenbuch der Rasse 1862 eingetragen wurde. Der Stammbaum ihrer Nachkommen bildet Bestandteil vieler berühmter Herden. Als Sie 1859 im legendären Alter von 36 Jahren verstarb, hatte sie 25 Kälber geboren. Ein Jahr später wurde Watsons Herde nach Befall ansteckender Pleuropneumonie aufgelöst (AAABA, p. 5). Watsons Zuchterfolg war jedenfalls legendär. Allerdings basierte er nach dem einfachen Prinzip Beste zu Bestem ohne Rücksicht auf den Verwandtschaftsgrad.

Ein weiterer wichtiger Gründungsvater war William McCombie von Tillyfour, der 1824 in Aberdeenshire eine Herde aus überwiegend den Keillor Blutlinien Watsons gründete. Der gute Ruf der Aberdeen-Angus-Rasse geht weitestgehend auf seine Bemühungen und die seiner Nachfahren zurück. So wurden auf der Highland Show in Aberdeen 1834 die Resultate der Zucht mit Rindern aus Aberdeenshire als auch Angusshire ausgezeichnet und wir haben hier so etwas wie die offizielle Gründung der Aberdeen-Angus Rasse, zumindest wurde der Name hier erstmals vergeben. Von diesem Zeitpunkt an kann der Stammbaum recht genau nachvollzogen werden. Einige der ausgezeichneten Bullen dieser Zeit erreichten ein Gewicht von ca. 1070kg.