Geschichte

Die Geschichte der Angus-Zucht in Schottland

Die Geschichte der Rinderrasse Aberdeen-Angus fängt, wie die Geschichte aller Rinderrassen, mit dem Auerochsen an. Seine Domestizierung begann mit der neolithischen Revolution in der als Fruchtbarer Halbmond oder Levante bekannten Region im Südosten der heutigen Türkei vor etwa 10.500 Jahren. Die domestizierte Variante des Auerochsen, Bos Taurus, wurde dort spätestens 1.500 Jahre später erfolgreich als Unterspezies gezüchtet (Schafberg, Swalve; 2015). Diese, sowie alle heutigen taurinen Rinder, stammen laut genetischer Studien von nur 81 weiblichen Exemplaren wilder Auerochsen aus der Levante ab, möglicherweise sogar aus nur einer einzigen Herde (Bollongino et.al, 2012). Dies mag als Indiz dafür gelten, dass die Domestizierung dieser mächtigen Tiere mit schweren (fatalen) Problemen verbunden und möglicherweise nur zweimal mit Erfolg gekrönt war. Jedenfalls schließt die heutige Forschung eine spätere Domestizierung einheimischer, europäischer (oder gar schottischer) Auerochsen als Basis für die modernen Rassen wie Aberdeen-Angus kategorisch aus (Scheu et.al., 2015). Die von frühen Historikern dieser Rinderrasse verbreitete Vorstellung, es handele sich bei den in mittelalterlichen Dokumenten erwähnten Vorfahren des Aberdeen-Angus um eine wilde einheimische Rasse, die dann von Siedlern domestiziert und von Züchtern für die Fleischproduktion verfeinert wurde, ist angesichts dieser Erkenntnisse nicht länger haltbar.

Jedenfalls brachte das sich über einige Jahrtausende westwärts ausbreitende Neolitkium bereits verschieden Formen des Bos Taurus in die Region des heutigen Schottlands, wobei sich durch Zuchtanstrengungen, Umwelt- und andere Einflüsse unterschiedliche, regional geprägte Rinderrassen herausbildeten, unter anderem eine überwiegend schwarze und hornlose, die als Ursprung von Aberdeen-Angus Rindern gilt. Diese wurde erstmals in der früh-mittelalterlichen Gesetzgebung Kenneth MacAlpins erwähnt, wo sie als ‚homyl cattle‘ bezeichnet wird. (Am. Ang. Soc.). Das Wort ‚homyl‘ (auch "humly", "hummlie" sowie andere Abweichungen) ist verwandt mit ‚humble‘ (‚bescheiden‘) und bezeichnet im schottischen Volksmund hornlose (schwarze) Rinder. Gleiches trifft auf ‚doddies‘ zu, wobei 'Doddies' überwiegend mit der Region Angusshire und "Hummlies' mit Aberdeenshire in Verbindung gebracht werden. Inwiefern es sich um genetisch unterschiedliche Stränge handelt ist heute aufgrund der späteren Kreuzungen schwer zu ermitteln; im 19ten Jahrhundert wurden sie jedoch als unterschiedliche Stämme der gleichen Rasse wahrgenommen. Bei Aberdeen-Angus handelt es sich also um eine der ältesten Rinderrassen Schottlands überhaupt, deren regionale Ausprägung sich über einen langen Zeitraum der relativen Isolation herausbilden konnte. Neben der Hornlosigkeit erwiesen sich bei späteren Kreuzungen auch andere Eigenschaften von Aberdeen-Angus als Dominant, was damals auf diese Ursprünglichkeit zurückgeführt wurde.

Aufgrund dieser genetischen Dominanz wurden Aberdeen-Angus Rinder auch bevorzugt für die ‚Veredelung‘ von Herden anderer Herkunft verwendet. Zucht fand vor dem 18ten Jahrhundert jedoch nur bedingt statt, da zu diesem Zeitpunkt Rinder in Schottland überwiegend als Arbeitstiere eingesetzt wurden und Schafe die Hauptquelle für den Fleischverzehr bildeten. Vor allem mit Intensivierung der Landwirtschaft wurden stärkere und größere Rassen als Pflugochsen bevorzugt (in der Regel größere gehörnte Rassen aus der südlichen Lothian-Region). Obwohl die Doddies und Hummlies zu dieser Zeit eher ein Randdasein in der schottischen Landwirtschaft führten, gab es auch gegenläufige Entwicklungen. So bestand bereits vor dem Unionsvertrag zwischen England und Schottland 1707 aufgrund der Kriege gegen Frankreich und Spanien zeitweise eine höhere Nachfrage der Marine für schottisches Rindfleisch, das zu Salzfleisch verarbeitet wurde.

 

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1707 - 1900 Ein kurzer Überblick

Die Nachfrage der Marine war jedoch nur einer der Faktoren, der zum Aufstieg der Aberdeen-Angus Rasse führte. Ein viel wichtigerer für das wachsende Interesse an der Rinderzucht war der Übergang von einer auf den Eigenbedarf ausgerichteten Landwirtschaft zu einer auf kapitalistischer Basis betriebenen Agrikultur mit expandierenden Märkten im Süden. Politisch legte der Unionsvertrag zwischen England und Schottland 1707 den Grundstein für diese Entwicklung. Neben der allgemeinen Modernisierung der Landwirtschaft und deren zunehmende Differenzierung gilt der Rübenanbau und die damit einhergehende radikale verbesserte Fütterung als eines der wichtigsten Aspekte der Agrarrevolution für die Rinderzucht. Obwohl anzunehmen ist, dass bereits früher Bestrebungen gab, die besten männlichen mit den besten weiblichen Exemplaren einer Herde zu paaren, z.B. um stärkere Pflugochsen zu erhalten, konzentrierte sich die Zucht gegen Ende des 18ten Jahrhunderts zunehmend auf die Milch- und Fleischproduktion. Überschüssige Rinder wurden jetzt vermehrt nach England exportiert, wo sie nicht nur in der Marine (hier führte die Rinderseuche 1762 in England erneut zu einer starken Nachfrage), sondern auch in einer wachsenden Klasse wohlhabender Engländer Abnehmer fanden.

Ein weiterer Faktor für den Aufstieg der Aberdeen-Angus Rasse war die Französische Revolution. Sie ließ die Weizenpreise steigen, so dass der Süden Englands auf die Weizenproduktion umstellte und die Viehzucht sich auf die nördlichen Grafschaften konzentrierte. Im Einklang mit allgemeiner Modernisierung wurde hier die Fütterung und Haltung nochmals wesentlich verbessert, was natürlich sowohl die Qualität als auch die Erträge steigerte. Außerdem erwiesen sich die Aberdeen-Angus Rinder als hervorragend für die Rindfleischproduktion geeignet und wurden zunehmend von den Feinschmeckern in England bevorzugt.
Zu Beginn des 19ten Jahrhunderts führten diese Entwicklungen dazu, dass die Fortschritte in der Zucht auch zunehmend dokumentiert wurden und wir verfügen für diese Zeit bereits über Namen von Züchtern, Herden und besonders ausgezeichneten Tieren. Jetzt auch die ersten nationalen landwirtschaftlichen Institutionen gegründet, wie die Highland and Agricultural Society of Scotland (1783) und das Board of Agriculture (1793). Diese Organisationen waren vor allem für das wachsende Ansehen von Ausstellungen wichtig. Diese ‚Shows‘ und ‚Fairs‘ gingen aus den Kirchfesten in Verbindung mit traditionellen Märkten hervor, auf denen auch Rinder mit herausragenden Qualitäten ausgezeichnet wurden. In Aberdeenshire z.B. ist bekannt, dass auf der Garioch Show im Jahr 1811 ein gewisser Robert Walker seinen ‘Black Humble‘ zur Schau stellte. Auch in Angusshire wurden uns durch Dokumente zur Tarnty Fair (einem der wichtigsten Viehmärkte) die Namen einiger Ahnen der Angus-Rasse überliefert, darunter Keillor Jocks, Favourites, Buchan Black Megs und Panmure.

Erste dokumentierte Züchtungen

Viele der Tiere, die später als Gründer der Aberdeen-Angus Rasse Berühmtheit erlangten, stammen aus der Herde von Hugh Watson von Keillor in Angus. Bereits sein Vater und Großvater züchteten Angus Doddies, hauptsächlich für die Milchproduktion, und als er 1808 die Pacht für den Keillor Hof übernahm, gehörten 6 Färsen und ein Bulle (Bannantyne Sandy) dieser Herde zum ursprünglichen Bestand. Er kaufte auf dem Viehmarkt in Tarinty Muir jedoch sofort 10 weitere Färsen und einen Bullen dazu. Diese könnten aus Aberdeenshire gestammt haben, womit dies tatsächlich die erste Aberdeen-Angus Herde wäre.Die Bullen dieser Herde wurden in vielen Städten Schottlands zur Schau gestellt und bewundert, aber das berühmteste Exemplar ist eine Färse, die als "Old Granny" und Ur-Dame im ersten Herdenbuch der Rasse 1862 eingetragen wurde. Der Stammbaum ihrer Nachkommen bildet Bestandteil vieler berühmter Herden. Als Sie 1859 im legendären Alter von 36 Jahren verstarb, hatte sie 25 Kälber geboren. Ein Jahr später wurde Watsons Herde nach Befall ansteckender Pleuropneumonie aufgelöst (AAABA, p. 5). Watsons Zuchterfolg war jedenfalls legendär. Allerdings basierte er nach dem einfachen Prinzip Beste zu Bestem ohne Rücksicht auf den Verwandtschaftsgrad.

Ein weiterer wichtiger Gründungsvater war William McCombie von Tillyfour, der 1824 in Aberdeenshire eine Herde aus überwiegend den Keillor Blutlinien Watsons gründete. Der gute Ruf der Aberdeen-Angus-Rasse geht weitestgehend auf seine Bemühungen und die seiner Nachfahren zurück. So wurden auf der Highland Show in Aberdeen 1834 die Resultate der Zucht mit Rindern aus Aberdeenshire als auch Angusshire ausgezeichnet und wir haben hier so etwas wie die offizielle Gründung der Aberdeen-Angus Rasse, zumindest wurde der Name hier erstmals vergeben. Von diesem Zeitpunkt an kann der Stammbaum recht genau nachvollzogen werden. Einige der ausgezeichneten Bullen dieser Zeit erreichten ein Gewicht von ca. 1070kg.

Aberdeen-Angus setzte seinen Siegeszug jetzt auch auf dem Kontinent fort. Im Jahr 1856 zum Beispiel stellte McCombie zwei Exemplare aus seiner Herde auf der Internationalen Ausstellung in Paris zur Schau und die Preisrichter urteilten wie folgt: „Perfekte Homogenität von Rasse, Schönheit, ausgeprägte und regelmäßige Form, weiche Haut, sanft in der Handhabung; dies alles in einer ausreichend entwickelten Muskelsystem vereint. Sie präsentierten zudem eine beachtliche Masse an Fleisch, unterstützt durch ein vergleichsweise kleines Knochenvolumen. Wir sind uns außerdem bewusst, dass die Rasse Nüchternheit mit einer großen Masttauglichkeit verbindet, und dass sie den Metzger mit Rindfleisch von sehr geschätzter Qualität versorgt. Sie produziert Milch in zufriedenstellender Menge, ist von sanftem Temperament und ist außerdem sehr fruchtbar (AAAAs S. 15). Der Erfolg auf internationaler Ebene setzte sich in 1862 auf der Weltausstellung in Poissy fort, wo McCombie mit dem 1.250 Kilo schweren und als "Poissy Ox" oder "Mammoth Ox" bekannten Stier die höchsten Auszeichnungen erhielt. In 1878 fand eine weitere Ausstellung in Paris statt, wo die sechzehn aus Schottland überführten Aberdeen-Angus Doddies ebenfalls alle Preise in ihrer Klasse abräumten, unter anderem als die besten Fleischproduzenten. Die Rasse war nun weltweit bekannt und Herden wurden über die gesamten britischen Inseln gegründet. Ab 1878 gab es eine ‚Polled Cattle Society‘ (Zuchtverband für hornlose Rinder), gefolgt von der "English Aberdeen-Angus Cattle Association" im Jahr 1899. Seit 1860 wurden aber auch gezielt Kreuzungen vorgenommen. Mr. Robertson führte damals die verbesserten Shorthornrinder in Schottland ein und die Bullen wurden mit den einheimischen Aberdeen-Angus Kühen gekreuzt. Dieses Verfahren produzierte bessere Schlachtrinder als bisher bekannt und führte zu einem regelrechten Wahn, da sich dies als äußerst profitabel erwies. Die reinrassigen Aberdeen-Angus-Herden wurden somit aber zunehmend dezimiert, so dass sich renommierte Züchter wie die McCombies und Sir George Macpherson Grant veranlasst sahen, sich auf den Erhalt und die Verbesserung von reinrassigen Herden zu konzentrieren.

Der wachsende Ruhm der Aberdeen-Angus Rasse führte natürlich auch zum weltweiten Export, insbesondere nach der Ausstellung in 1878. In den USA waren es zwei ausgewanderte Schotten - Anderson & Findlay – die fünf Färsen und einen Bullen, ein Nachkomme der Keillor-Linie, auf ihre Ranch importierten. Der rasante Zuchterfolg führte zu einer ebenso rasanten Verbreitung der Rasse in dieser Region. Zunächst für die Verbesserung existierender Herden, aber zunehmend auch zur Zucht reiner Aberdeen-Angus Herden. Auch hier wurden zum Ende des Jahrhunderts Verbände gegründet, wie z.B. die "American Aberdeen-Angus Breeders Association" in 1883. Mittlerweile ist Aberdeen-Angus nahezu weltweit vertreten. Mit einer gewissen Ironie hat sich aber die umgekehrte Situation ergeben, dass die Herden in Schottland fast ausschließlich aus importierten Aberdeen-Angus Blutlinien bestehen. Im Jahr 2002 wurde Aberdeen-Angus auf Prioritätenliste des Rare Breeds Survival Trust aufgenommen, da es nur noch 80 Rinder gab, die nicht aus importierten Blutlinien stammten. Eine Zahl, die an die ursprünglich domestizierten Auerochsen erinnert.

Bibliographie

Joachim Burger, Adam Powell, Marjan Mashkour, Jean-Denis Vigne, Mark G. Thomas; Modern Taurine Cattle Descended from Small Number of Near-Eastern Founders, Molecular Biology and Evolution, Volume 29, Issue 9, 1 September 2012, Pages 2101–2104, https://doi.org/10.1093/molbev/mss092B
American Angus Association; Origin of the Aberdeen-Angus and its development in Great Britain and America, 1914, American Aberdeen-Angus Breeders' association and Cornell University http://www.aberdeen-angus.co.uk/the-society/our-history Accessed 20 Sept. 2018

Curtis, Marianne. "IN BRIEF." Farmers Weekly, 22 Nov. 2002, p. 39. Academic OneFile, http://link.galegroup.com/apps/doc/A94502898/AONE?u=tou&sid=AONE&xid=026994b6. Accessed 20 Sept. 2018.

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